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News 2020

„WAS TUN GEGEN RASSISMUS?“

Projekt Zweitzeugen am Gymnasium Marianum Meppen

Von Ann-Margret Bolmer (Meppener Tagespost), 14.02.2020

Meppen. „Zweitzeugen“ - so nennen sich junge Menschen, die sich intensiv mit den Lebensgeschichten von Holocaust-Überlebenden auseinandergesetzt haben und deren Erlebnisse weitertragen. Entstanden ist das Projekt am Gymnasium Marianum in Meppen. Ganz still sitzen Jakob Schepers und seine Mitschüler aus der siebten Klasse in einem Kreis und lauschen den Erzählungen von Lina Sieverding.

Auf einer Stellwand hinter der Zwölftklässlerin sind Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen, eine Landkarte Europas, ganz oben dann das farbige Bild eines älteren Mannes, über dem der Name Rolf Abrahamsohn prangt. In der Mediathek des Gymnasium Marianum begegnete man kürzlich noch drei weiteren Gruppen, in denen Schüler der siebten Klasse gebannt den Zweitzeugen lauschten. Diese tragen die Erinnerungen von Holocaust-Überlebenden weiter.

Geschichten einprägsamer machen

2017 sah eine Schülergruppe des Marianums die Notwendigkeit, sich für eine „Schule gegen Rassismus - Schule mit Courage“ zu engagieren. Kilian Hermes, Ole Kröger, Fabien Büld, Julian Weidner und Lina Sieverding, damals in der zehnten Klasse, bildeten sich als Zweitzeugen aus und erzählen seitdem die Geschichten von Erna de Vries und drei weiteren Holocaust-Überlebenden vor Freunden, Familie und ihren Mitschülern.

Warum machen sie das? „Im Unterricht fokussiert man sich sehr auf die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen des Dritten Reichs, während die Geschichten einzelner Personen weniger präsent sind. Die realen Lebensgeschichten bewegen die Zuhörer jedoch anders, Einzelheiten und Details machen die Geschichten einprägsamer“, waren sich die fünf einig.

Gegen Ausgrenzung und Diskriminierung

Wie bewegt die Zuhörer, in diesem Fall die Klasse 7c, von den Schicksalen sind, lässt sich leicht an ihren Gesichtern ablesen. Als Ole Kröger den Schüler berichtet, wie Erna de Vries sich auf den Weg in den Todesblock Z des KZ Auschwitz-Birkenau begibt, rücken die Kinder vor Spannung ein Stück weiter nach vorne auf dem Sofa. Auch die Geschichte von Rolf Abrahamson, einem Jungen, dessen ganze Familie in den Vernichtungslagern umgebracht wurde, gibt den Kindern viel Denkstoff.

„Wie lebt man eigentlich weiter, wenn man sowas Schlimmes durchgemacht hat? Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine ganze Familie ausgelöscht wird. Dass man alle verliert, und danach sogar wieder an den alten Heimatort zurückkehrt.“ Jakob ist schockiert über das, was Abrahamson erleben musste. Allen Kindern ist der grausame Alltag in den Lagern und die Willkürlichkeit des Tötens im Gedächtnis geblieben. Ihnen ist nun wichtig: Von Anfang an dagegen sein, gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Für sie selbst heißt das, besser aufzupassen, wenn man andere nicht mitspielen lassen will, und gegen Mobbing zu sein.

Sensibler geworden

Auch für die fünf Zweitzeugen hat das Erzählen einen praktischen Bezug bekommen. Durch die intensive Auseinandersetzung mit der Diskriminierung und Verfolgung während des Dritten Reichs sind sie sensibler geworden für Geschehnisse in ihrer Umgebung - etwa, wenn Schimpfwörter benutzt würden, die auf diskriminierte Gruppen hinweisen. Kilian fügt hinzu, dass man nun auch anders darauf reagiert, wenn in einer Whatsapp-Gruppe vermeintlich lustige, aber antisemitische Sticker versendet werden. Nach dem Vormittag ist niemand wirklich heiter gestimmt, aber die fünf sind durchaus zufrieden mit dem Ablauf. Bei ihnen bleibt das Gefühl, in ihren jüngeren Mitschülern etwas bewegt zu haben.

Jan Baum und Johannes Kröger, Geschichtslehrer am Marianum und Betreuer des Projekts, sehen das ebenso. Sie wissen, dass sie zwar geschichtliche Experten sein mögen, die schreckliche Realität des Holocaust jedoch durch das Erzählen greifbarer wird. Und: Sie sind froh über die Gemeinschaft zwischen den Schülern.

 
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