Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages 2017
Von A. Kreilos / Jonah Paul (Jg.12), 20.03.2017
Aus Anlass des 27.1. (Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus) lud der Dt. Bundestag auch in diesem Jahr wieder ca. 80 Jugendliche aus verschiedenen Ländern ein, um sich mit einem speziellen Thema näher zu befassen. Drei unserer Schüler – Klara Lübbers, Jonah-Mathis Paul und Leon Lonnemann – konnten über die Vermittlung der kath. Friedensbewegung Pax Christi (Regionalstelle Osnabrück – Hamburg) daran teilnehmen.
In diesem Jahr stand die Jugendbegegnung unter dem Thema „Euthanasie“, darum fuhren die Jugendlichen zunächst für einige Tage nach Pirna, um dort vor Ort in dem ehemaligen Lager Sonnenstein, in dem in der NS-Zeit ca. 14.000 Menschen – die meisten davon Menschen mit Behinderung - ermordet wurden, sich Informationen zu beschaffen, sich auszutauschen, zu reflektieren. Anschließend fuhren sie nach Berlin, besuchten die dortige Charité und setzten sich dort mit der Geschichte dieses Krankenhauses bzgl. der Euthanasie auseinander. Am 27.1. konnten sie an der Feierstunde des Dt. Bundestages anlässlich des 27.1. teilnehmen.Am vergangenen Donnerstag versammelte sich der gesamte Jahrgang 10, der erst vor kurzem das Lager Esterwegen besucht hat, in der Aula, wo die drei Abiturienten in einem Vortrag ihr Erfahrungen und Informationen zum Thema Euthanasie vorstellten. Dafür sei ihnen ganz herzlich gedankt. Jonah-Mathis Paul stellte seine Erfahrungen bei dieser Jugendbegegnung in einem persönlichen Bericht zusammen.
Bericht von Jonah-Mathis Paul
Die Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages 2017 war für mich eine besondere Erfahrung, die ich niemals vergessen werde. Die Woche war von gemischten Gefühlen geprägt – von Freude als auch von Trauer. Das Thema „Euthanasie“ war mir bereits durch den Geschichtsunterricht bekannt, aber es wurde lediglich auf zwei Seiten zusammengefasst und dementsprechend war der Informationsgehalt relativ gering. Ich konnte mir konkret nicht viel darunter vorstellen.
Der Begriff „Euthanasie“ bedeutet „schöner Tod“ und wurde euphemistisch von den Nationalsozialisten verwendet, um das Morden in den „Heilanstalten“ zu verschleiern. Als wir in der Gedenkstätte Pirna/Sonnenstein angelangten, wurde uns das wahre Ausmaß der Vernichtungspolitik des NS-Regimes bewusst: 14.751 unschuldige Menschen, darunter psychisch kranke und geistig behinderte Menschen sowie Häftlinge aus Konzentrationslagern wurden Opfer eines industriell-systematischen Massenmordes, welcher an Perversion nicht übertroffen werden kann. Besonders blieb mir der Raum in Erinnerung, in dem die Biographien einiger Opfer auf Tafeln festgehalten worden sind. Als ich mir diese durchlas, war ich zutiefst berührt, stellte mir das diese Menschen vor und bemerkte, dass sie mitten im Leben standen und lebensfroh waren. Ich war traurig, aber zugleich verspürte ich so etwas wie Wut in mir. Ich hatte bereits die Konzentrationslager in Buchenwald, Dachau und Bergen-Belsen besucht, aber solch starke Emotionen hatte ich noch nie zuvor.
Die Nationalsozialisten haben das Leben dieser Menschen, darunter auch das von kleinen Kindern, im Zuge ihrer Rassenhygiene vorzeitig beendet, da sie laut der pseudowissenschaftlichen Eugenik „lebensunwert“ gewesen seien und den „gesunden Volkskörper“ verunreinigen würden – sie hatten Gott gespielt und das unter den Augen der deutschen Zivilbevölkerung. Fassungslosigkeit machte sich breit, als wir während der Führung über das Gelände erfuhren, dass die Asche der Opfer auf einem Hang verstreut worden ist, an dessen Fuß zahlreiche Häuser standen. Eine Zeitzeugin habe sogar berichtet, dass sie, wenn Rauch aus dem Schornstein des Krematoriums emporstieg, wusste, sie dürfe draußen keine Wäsche aufhängen. Sie wussten Bescheid, doch ein ernst zu nehmender Widerstand entwickelte sich leider nicht. Doch ich bin von nun an umso mehr entschlossen, Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen, damit ein solches Unrecht nie wieder geschieht. Das kulturelle Gedächtnis daran muss aufrecht erhalten werden und deshalb ist der Gedenktag des Bundestages am 27. Januar enorm wichtig. Insbesondere zu einer Zeit, in der rechtsextremistische Parteien weltweit an Auftrieb gewinnen, müssen sich alle Gesellschaften intensiv mit dem Thema auseinandersetzen und die Geschichte auch als Warnung für die zukünftigen Generationen wahrnehmen. Des Weiteren ist es notwendig, Menschen mit Handicaps zu inkludieren und ihnen gleiche Rechte sowie Chancen zu gewähren – mittendrin statt nur dabei. Jeder von uns weiß, dass kein Mensch perfekt ist und dass jeder Stärken als auch Schwächen hat.
Auf der anderen Seite konnte ich zahlreiche Kontakte mit neuen Jugendlichen aus aller Welt knüpfen und deren Lebensumstände sowie Ansichtsweisen kennenlernen. Es entwickelten sich intensive Debatten und auch ein Disput konnte manchmal aufgrund der unterschiedlichen politischen Meinungen nicht vermieden werden, doch es wurde auch immer wieder gelacht. Vor allem fühlte ich mich schnell wohl und die Atmosphäre war wirklich freundschaftlich, da keiner ausgeschlossen worden ist.
Abschließend würde ich die Woche in Berlin und Pirna als sehr lehrreich und prägend bezeichnen. Ich habe eine Menge Erfahrungen gesammelt und bin fest davon überzeugt, dass ich noch in vielen Jahren davon erzählen werde. Außerdem habe ich mich aufgrund der Jugendbegegnung dazu entschlossen, mich politisch in meiner Umgebung noch mehr zu engagieren.