"Das Vergangene nicht vergessen"

 

Marianum-Schüler nehmen an internationaler Jugendbegegnung teil


Von Rita Esbach, 12.02.2015
Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee lud der Deutsche Bundestag rund 80 Jugendliche zu einer internationalen Jugendbegegnung ein. Wie ich schnell erfahren durfte, wurde die Bezeichnung „international“ sehr ernst genommen und ich traf auf Jugendliche aus aller Herren Länder, von New York über Israel bis Moskau. Auf uns wartete ein spannendes, vielseitiges, aber auch ein sehr strammes Programm, welches eine sehr detaillierte Auseinandersetzung mit dem Thema auf wissenschaftlicher, für mich aber auch vor allem auf emotionaler Ebene versprach. Mein Wissen über Auschwitz und die Besatzungsherrschaft der Deutschen in Polen begrenzte sich bis dato auf erworbenes Wissen im Unterricht und durch Fachlektüren. So war ich sehr aufgeregt, Geschichte „zum Anfassen und Fühlen“ zu erleben. Andere Jugendliche arbeiteten beispielsweise in Gedenkstätten und hatten sich somit schon intensiver mit der Thematik auseinandergesetzt, einige hatten bereits Auschwitz oder das Städtchen Oświęcim besucht.

In Oświęcim, gelegen am Fluss Sola in Polen, leben circa 40 000 Einwohner. Nur wenige Kilometer entfernt liegt das Stammlager Auschwitz mit dem zynischen Spruch „Arbeit macht frei“ über dem Eingangstor, nur wenige Kilometer entfernt von all dem Leid, welches zu vielen Menschen widerfahren ist. Bewusst möchte ich keine Zahlen nennen, denn diese Zahlen allein würden dem Erfassen des Ausmaßes nicht gerecht werden. Hinter diesen Zahlen stehen schreckliche Schicksale, grausame Ermordungen, unmenschliche Demütigungen, die es nur erschweren, den Ort Auschwitz zu verstehen. Auch die vielen Koffer oder die gewaltigen Haufen an Kinderschuhen, die im Museum ausgestellt werden, machen es nur es für mich nicht einfacher, diese große Zahl zu erfassen. Kann man Auschwitz überhaupt verstehen?

Zunächst erkundeten wir Oświęcim und wir lernten, dass die Deutschen tiefe Spuren in der Bevölkerung hinterlassen haben, denn bevor die Nationalsozialisten das Land überfielen, lebten Juden, die bereits seit dem 15. Jahrhundert hier siedelten, und Christen friedlich zusammen. Insgesamt gab es 20 Gebetsräume und Synagogen für 8000 Juden. Wir besichtigten die letzte Synagoge, die den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte und das daran angeschlossene Jüdische Zentrum. Viele assoziieren mit dem Begriff Auschwitz die Konzentrations- und Vernichtungslager, Gaskammern, unendliches Leid, die Verwirklichung der nationalsozialistischen Ideologien des Antisemitismus und der Schaffung von Lebensraum im Osten, den schwarzen Fleck der Geschichte Deutschlands, die Massenvernichtung von Juden. Wohl kaum einer denkt an eine Stadt, in der das Leben weiter geht. Ein trauriger Moment für mich an diesem Tag, war der Besuch eines wiederaufgebauten jüdischen Friedhofes. Die Nationalsozialisten schändeten sämtliche jüdische Friedhöfe, um aus den Grabsteinen Straßen zu bauen. In der Mitte dieses Friedhofes befand sich nur ein „echtes“ jüdisches Grab. Mit Szymon Kluger verstarb der „letzte Jude von Auschwitz“ im Jahr 2000 und mit diesem Tod erlosch auch das letzte jüdische Leben in Oświęcim.

Am darauffolgenden Tag besuchten wir das Stammlager Auschwitz und das Lager Auschwitz-Birkenau. Man hatte den Eindruck, als hätte man in den Lagern die Zeit gestoppt. Es ist unbeschreiblich, was so ein Ort mit einem macht, wenn man sich drauf einlässt. Es fror und schneite heftig. Für mich ist es unbegreiflich, wie ein Häftling nur mit seiner dünnen Häftlingskleidung geschützt, überleben konnte. Auschwitz-Birkenau ist für mich ein riesiger Friedhof und ein Ort ewiger Trauer, aber auch ein Ort von Unverständnis und ein Mahnmal für alle. Ich stellte mir vor, wie die Asche der Krematorien sich auf der gesamten Fläche verteilt hatte. Auf dem Weg, im Schlamm an meinen Schuhen. Überall war die Asche unschuldiger Männer, Frauen und Kinder. Nach der Führung, die bei den Ascheseen endete, gingen wir zurück zu den Bussen. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir gingen, aber es kam mir endlos lang vor. Niemand sprach ein Wort und die hohen, langen Stacheldrahtzäune am Weg, die vielen Baracken und das Schneegestöber machten den Ort unheimlich. Ich fühlte mich ausgebrannt und einsam wie nie zuvor. Abends sprachen wir in Gruppen über unsere Eindrücke, was mir sehr geholfen hat. Dennoch wird es noch viel Zeit brauchen, bis ich das Gesehene und das Gefühlte verarbeitet habe. Kann man Auschwitz überhaupt verstehen? Ich weiß es nicht.