Einem Zeitzeugenbericht lauschten M. Voetlause und die Schüler der Geschichtsleistungskurse am Meppener Gymnasium Marianum, als Bernhard Grünberg (Bildmitte) aus seinem Leben erzählte. Foto: Anna Hundehege.



Holocaust-Überlebender besucht Meppener Marianum

 

Emsland heute Ausland für ihn


Von Meppener Tagespost, 19.06.2014
"Zu einem verantwortungsbewussten Miteinander und mehr Toleranz hat Bernhard Grünberg die Zehnt- und Elftklässler der Geschichtsleistungskurse am Gymnasium Marianum Meppen aufgerufen. In einer Geschichtsstunde der etwas anderen Art berichtete der Ehrenbürger der Stadt Lingen von seinen persönlichen Erfahrungen während des Dritten Reichs. 1938 war er mit dem zweiten Kindertransport nach England gelangt und überlebte so den Holocaust.

Wie genau er zu dieser Chance kam, ist ihm bis heute nicht bekannt. In Reaktion auf die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 und auf Drängen der britischen jüdischen Gemeinde akzeptierte die britische Regierung die Aufnahme von etwa 10000 Kindern im Alter von vier Monaten bis 17 Jahren. Dies geschah zwischen dem 30. November 1938 und dem 30. August 1939 – unter der Bedingung eines Arbeitsverbots und einer möglichst kurzen Aufenthaltsdauer. Dieser Entscheidung verdankt er sein Leben, ist sich Grünberg sicher. Für den gebürtigen Lingener ist das Emsland heute Ausland. England ist seine neue Heimat und Englisch längst zur Muttersprache für ihn geworden.

1923 in Lingen geboren, verbrachte Grünberg eine normale Kindheit. Die Lingener seien sehr tolerant gegenüber der jüdischen Gemeinde gewesen, auch noch lange nach der Machtergreifung Hitlers 1933, schilderte er. Mit zunehmender antisemitischer Propaganda in Schulen wurde Grünberg jedoch von ehemaligen Freunden gemieden. Er sei nicht mehr als Mensch wahrgenommen worden, weshalb diese Zeit eine der schlimmsten seines Lebens gewesen sei. Lediglich zwei Freunde sind ihm treu geblieben, erinnert er sich. So war es für ihn eine bedeutsame Erfahrung, in England wieder als Mensch behandelt zu werden und in Freiheit zu leben.

Erst nach langem Ringen kehrte er auf Einladung der Stadt Lingen ins Emsland zurück. Von seiner ehemaligen Nachbarin Ruth Foster erfuhr er schließlich vom Schicksal seiner Familie, die nach Riga deportiert und Opfer des Holocaust wurde.

Seine Trauer sei seither nie vergangen und ein „Vergeben und Vergessen“ komme für ihn nicht infrage. Dies wäre eine Beleidigung gegenüber den sechs Millionen Juden, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. Gleichzeitig erinnert Grünberg aber auch an jene, die aufgrund ihrer politischen Einstellung oder ihrer körperlichen oder geistigen Behinderungen verfolgt wurden. Ein erster Schritt der Versöhnung war die Einweihung eines Denkmals für die jüdischen Opfer und die Ernennung Grünbergs zum Ehrenbürger der Stadt Lingen.

Seit einigen Jahren arbeitet Grünberg regelmäßig mit Schülern und berichtet ihnen von seinen Erlebnissen. Die Aufklärung über die Gräueltaten der Nationalsozialisten sei das Einzige, was Überlebende tun könnten, um eine Wiederholung der Geschichte zu vermeiden, sagte er und mahnte die Schüler zu mehr Verantwortung im täglichen Umgang und Toleranz gegenüber Menschen anderer Hautfarbe, Religion oder Herkunft.

Leider habe die Welt noch nicht hinreichend aus der europäischen Geschichte gelernt, so Grünberg. Auch Schulleiter Leo Pott sowie der Fachobmann für Geschichte, Martin Voetlause, betonten die Bedeutung von Zeitzeugenberichten für den Geschichtsunterricht."