Gymnasium Marianum
Meppen
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Teilnehmer des Marianums















Fotos: (c) DBT Antonio Morales Okyaz



Bericht über die Internationale Jugendbegegnung in Dachau

 
Von J. Breier

Die Erinnerung bewahren – Die Zukunft verantwortungsvoll gestalten

Vollkommene Stille. Gebannt sitzen wir in einem Präsentationsraum des Jugendgästehauses Dachau, sämtliche Augenpaare sind auf einen kleinen französischen Mann von 90 Jahren gerichtet. Er ist gekommen, seine Geschichte zu erzählen – eine Geschichte, bei der es uns allen den Atem verschlägt. Wieso? Clement Quentin ist Überlebender des Konzentrationslagers Dachau, sein Schicksal wohl einmalig.

Als patriotischer Franzose war er Mitglied in der Widerstandsbewegung gegen die nationalsozialistische Besatzungsmacht und die kollaborierende Vichy-Regierung. Im Jahr 1944 wurde er gefangen genommen und nach Dachau verschleppt. Doch dort wurde er nicht wie die meisten Häftlinge in den unter unmenschlichen Bedingungen stattfindenden Arbeitseinsatz geschickt, sondern in einem besonderen Block des Lagers untergebracht – isoliert von den restlichen Baracken. Unfassbar. Unbegreiflich. Diese beiden Adjektive kommen aus heutiger Perspektive wohl am ehesten einer Beschreibung der Vorgänge nahe, die der französische Zeitzeuge uns, den Teilnehmern der Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages, schildert. Denn an Clement Quentin wurden Menschenversuche durchgeführt. Nationalsozialistische Ärzte nutzten ihn als bloßes Versuchsobjekt, um die grausamsten Praktiken an ihm zu erproben. Doch der gläubige Katholik, dessen Glaube ihm die Kraft gab, irgendwie durchzuhalten, überlebte bis zur Befreiung des Konzentrationslagers Dachau im April 1945. Heute steht er vor uns, wie vor den zahlreichen Schulklassen, die er im Laufe der Jahre besucht hat, und berichtet mit einer anrührenden Offenheit von dem ihm zugefügten Leid.

Das Ende seines Vortrags beinhaltet schließlich den wohl bewegendsten Moment dieses Abends. Vergeben habe er seinen Peinigern von einst, meint Clement Quentin, denn nur auf diese Weise ließen sich die quälenden Gedanken der Rache überwinden. Vergessen werde er aber nie. Und so mahnt der ehemalige Widerstandskämpfer vor allem uns Jugendliche, die Erinnerungskultur aufrechtzuerhalten und die Demokratie, den effektivsten Schutz vor der erneuten Errichtung einer totalitären Diktatur, zu stärken.

Die Jugendbegegnung des Deutschen Bundestags, an der wir auf Vorschlag von pax christi teilnehmen durften, ließ uns an vielen Stellen die Bedeutung erkennen, auch im Jahr 2011 noch an den Holocaust und die während des sogenannten „Dritten Reichs“ verübten Verbrechen zu erinnern. Neben dem Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau oder der Workshoparbeit zu diversen historischen Themen mit Bezug zum Konzentrationslager Dachau waren es speziell die Gespräche mit Zeitzeugen wie Clement Quentin, die uns ergründen ließen, welche Konsequenzen der nationalsozialistische Rassenwahn für das Schicksal Einzelner hatte.

Dass wir als Individuen und als Gesellschaft aus dem Schrecken jener Zeit Lehren ziehen müssen, die sich auch auf das alltägliche Zusammenleben beziehen, wurde vor allem durch die Rede von Zoni Weisz in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages für die Opfer des Holocaust unterstrichen. Zum ersten Mal sprach mit dem erfolgreichen niederländischen Floristikkünstler, dessen Eltern und Geschwister im Holocaust ermordet wurden, ein Vertreter der Sinti und Roma. Besonders thematisierte er die weiterhin andauernde Diskriminierung dieser Bevölkerungsgruppe. 200.000 – 500.000 Sinti Roma waren unter nationalsozialistischer Herrschaft ermordet worden, doch Entschädigungszahlungen wurden in der Nachkriegszeit oftmals verwehrt. Schließlich dauerte es mehrere Jahrzehnte, bis die Verbrechen an den Sinti Roma vom deutschen Staat als Völkermord anerkannt wurden. Auch heute noch sind Ressentiments ihnen gegenüber europaweit verbreitet und münden z.B. in der Ausweisung zahlreicher Sinti und Roma aus Frankreich oder in ihrer bewussten Ausgrenzung aus staatlichen Bildungseinrichtungen in Rumänien.

In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Herrn Weisz und dem Bundestagspräsidenten Prof. Dr. Norbert Lammert verdeutlichte der Hauptredner seinen Wunsch nach einer besseren Integration der Sinti und Roma, zu der sich beide Seiten bekennen und öffnen müssten. Der allgemein verbreiteten Unwissenheit über die Sinti und Roma – die Grundlage jeder Vorurteilsbildung ist – durch informative Aufklärung zu begegnen, schien dabei allen Beteiligten ein wesentliches Instrument zur Schaffung einer integrativeren Gesellschaft zu sein. Toleranz, Offenheit und die Bereitschaft, Fremdes nicht abzulehnen, sondern verstehen zu lernen, sind in diesem Kontext keine hohlen Phrasen, sondern bedürfen der aktiven Auslebung eines jeden Einzelnen.

Was nehmen wir also mit von dieser Jugendbegegnung, deren Thema von manchen unserer Altergenossen schon als nicht mehr zeitgemäß angesehen wird?

Ist es der Besuch der KZ-Gedenkstätte, bei dem wir mit einem konkreten Tatort der nationalsozialistischen Verbrechen konfrontiert wurden? Ist es das geeinte Interesse des internationalen Teilnehmerfeldes an der Aufrechterhaltung der Erinnerungskultur? Sind es die bewegenden Zeitzeugengespräche oder die Erkenntnis, dass auch die aktive Partizipation an der Demokratie eine wichtige Vorraussetzung für ein „Nie wieder“ ist?

Vor allem ist es ein Zitat von Max Mannheimer, einem Überlebenden der Lager Auschwitz und Dachau, das – gerichtet an die junge Generation – keinen Zweifel an der ungebrochenen Aktualität des Themas der Jugendbegegnung lässt:

„Ihr seid nicht verantwortlich für das, was passiert ist, aber für das, was passieren wird.“